Die 9. Tagung der Arbeitsgemeinschaft Kasuistik in der Lehrer_innenbildung findet vom 27.-28.09.2018 an der Ruhr-Universität Bochum statt.
Schule als Fall − Rekonstruktionen schulischer Wirklichkeit
In den vergangenen Jahren gewannen kasuistische Zugänge insbesondere auch im Feld der Lehrer_innenbildung an Bedeutung (Pieper 2014, Hebenstreit et al. 2016). Im Zentrum der konzeptionellen, methodologischen und jüngst auch zunehmend empirischen Auseinandersetzung mit fallbasierten Formaten stehen in aller Regel Fälle unterrichtlicher oder im engeren Sinne pädagogischer Interaktionen.
Wenn so mit dem pädagogischen Handeln etwas zum Fall gemacht wird, „was dem beruflichen Handeln u. U. gar nicht als Fall gegeben war“ (Wernet 2006, S. 115), gewinnen kasuistische Formate insbesondere aus der Fallbezogenheit der pädagogischen Praxis selbst und damit aus einer (vermeintlichen) Nähe zu einer analytisch handlungsentlasteten und handlungspraktischen Perspektivierung dennoch ihre Plausibilität. Aus dieser Praxisbezogenheit aber auch aus der für kasuistische Zugänge charakteristischen mikrologischen Perspektivierung schulischer Wirklichkeit ergibt sich die Tendenz einer Abblendung der institutionellen, organisationalen und diskursiven Rahmung der pädagogischen Praxis, zumindest soweit dem Fall nicht eher eine illustrative Funktion zukommt.
Hier nimmt die Tagung ihren Ausgangspunkt, indem der institutionelle und organisationale Charakter des Schulischen und der Schule zum Fall gemacht werden soll. Ausgelotet werden sollen damit Potenziale und Grenzen kasuistischer Zugänge für ein Gegenstandsfeld jenseits des Unterrichts. Verstanden als eine Erweiterung der Kasuistik soll der Tatsache Rechnung getragen werden, dass Schule weit mehr als Unterricht ist. Dies zeigt sich auch in der Ausdifferenzierung der Organisation, in deren Folge der Lehrer_innenberuf zunehmend mehr als das Kerngeschäft des Unterrichtens umfasst bzw. sich Unterricht nicht allein aus der Binnenlogik des interaktiven Geschehens heraus verstehen lässt. Im komplementären Sinne richtet sich der Fokus damit etwa auf die diskursive Erzeugung imaginärer Entwürfe von Schule und Unterricht (und die in diese eingeschriebenen Entwürfe pädagogischer Professionalität) sowie die Relationierungen dieser Dimensionen in Hinblick auf die organisationale Ausformung von Schule. Eine solche Kasuistik, die „Schule“ zum Fall macht, kann sich auf ein breites Spektrum möglicher Protokolle richten, die beispielsweise Praktiken aus den folgenden Feldern in den Blick nehmen:
- Schulentwicklungsprozesse, z. B. Steuergruppentreffen, Fachgruppensitzungen, Fachkonferenzen, Lehrer_innenfort- und -weiterbildungen
- Formate der (multiprofessionellen) Kooperation, z. B. Teamgespräche, Arbeitskreise
- Beratungsgespräche, Supervision, Elternabende, Elternsprechtage
- Kontakte zwischen Schulaufsicht/Administration und schulischen Akteuren, z.B. Zielvereinbarungen und Zielvereinbarungsgespräche, Schulinspektionsbesuche
- Adressierungen von Lehrer_innen durch Broschüren, Flyer, Informationsmaterialien, Verordnungen, Fachcurricula etc.
- Bezugnahmen auf Schulwettbewerbe
- Angebote außerschulischer Bildungsträger im Kontext des schulischen Ganztages und unterrichtsergänzenden Angebote (z.B. DaZ/DaF)
- Kooperation zwischen Schulen und Universitäten im Kontext von Praxisphasen in der Lehrer_innenausbildung (z.B. Praxissemester)
- Kooperationen mit außerschulischen Lernorten und Bildungsanbietern
- Protokolle kasuistisch ausgerichteter universitärer Lehre zur Arbeit an und mit Fällen zu
den o.g. Themenfeldern und Gegenständen
Anhand der Rekonstruktion entsprechender Protokolle sowie anhand der Arbeit mit entsprechenden Materialien und Protokollen in der universitären Lehrer_innenbildung sollen u.a. die folgenden Fragestellungen diskutiert werden:
- Welche spezifischen Herausforderungen, Probleme, Chancen und Potenziale impliziert ein solches Arbeiten in hochschuldidaktischer Sicht und wie kann es in der Lehrer_innenausbildung verortet werden?
- Inwiefern ist es möglich, anhand konkreter Protokolle schulischer Wirklichkeit so die in aller
Regel eher makrologisch diskutierten schultheoretisch zentralen Fragen nach dem Verhältnis zwischen schulischer Eigenlogik und gesellschaftlicher (administrativer/bürokratischer/politischer) Determination empirisch-mikrologisch zu wenden? - Inwieweit können entsprechende Materialien genutzt werden, um das Verhältnis von Profession(alität) und Organisation empirisch-rekonstruktiv in den Blick zu nehmen und für die kasuistisch ausgerichtete universitäre Lehrer_innenbildung fruchtbar zu machen
- Inwieweit können kasuistische Ansätze für das beschriebene Gegenstandsfeld u.a. im Bereich der Fachdidaktik fruchtbar gemacht werden?
Das Tagungsthema hat demnach auch einen explizit explorativen Charakter und soll dazu einladen, geeignete Materialien zu generieren bzw. nach diesen Ausschau zu halten. Wir laden diesbezüglich insbesondere auch Kolleginnen und Kollegen aus den Fachdidaktiken zur Einreichung von Beiträgen ein.
Das Programm finden Sie hier.